Aus:

Greil Marcus: Im faschistischen Badezimmer, 2001, 1994

Die Rückkehr von König Artus

Die Mekons: zur Zeit sechs bis zehn Musiker, Geiger und Akkordeonspieler eingerechnet. Auf der Bühne tragen sie Cowboyhüte und singen Kris Kristoffersons )>Help Me Make It Through the Night(<. Gegründet 1977 in Leeds, England die erste Punkband der Stadt, und mittlerweile die letzte.

Zwei oder drei Gründungsmitglieder sind noch immer dabei; Dutzende von Musikern kamen und gingen. Da die Mekons nie so etwas wie einen Hit gehabt haben, stempelt sie allein schon ihr zehnjähriges Überleben zu hoffnungslosen Außenseitern. Als Popstars, die nie existiert haben, besitzen sie nichts, was sie wiederbeleben könnten; bei Retrospektiven zum Thema »10 Jahre Punk« wurden die Mekons links liegengelassen. Als Anachronismus freilich gewinnen sie heute an Kraft. Fear and Whiskey war vielleicht das beste Pop-Album des Jahres 1985; und The Edge of the World könnte das beste des Jahres 1986 werden. Die beiden Platten auf den Punkt gebracht: Geschichte ist ein Alptraum, aus dem die Mekons erwachen wollen, und wie sie es schaffen, sind sie immer noch betrunken.

Für die frühen Mekons bedeutete »Punk« kollektive Selbstverwirklichung durch spielerische Kunst vor einem Hintergrund gesellschaftlicher Konflikte. »Punk« war eine unvollendete Utopie, bei der die Freiheit, alles sagen zu können, in die Freiheit, alles tun zu können, münden würde. Die heutigen Mekons sind wie alle Opfer einer fehlgeschlagenen Revolution: gereizt, mit dem Vergessen auf du und du, voller Wut und Schuldgefühle. Aus einem Loblied auf die Werte, durch die sie am Leben erhalten wurden, kann auf der Stelle eine Fluch werden, von den tagtäglichen Nachrichten über die Eskapaden der Mächtigen verhöhnt, bringen diese Werte die Mekons um ihren Seelenfrieden. Sie sind wie alle Verlierer, denen das Erbe der Geschichte zuteil geworden ist: In einem entscheidenden öffentlichen Augenblick fanden sie zu sich selbst, doch das war, wie A.J.P. Taylor über die Revolutionen des Jahres 1848 geschrieben hat, ein Augenblick, »wo die Geschichte ihren Wendepunkt erreichte, es aber nicht schaffte, eine Wende zu vollziehend Deshalb leben sie heute von ihrem Humor: Es ist die Sorte Humor, die man früher als den »Humor von Überlebendenz bezeichnet hat bevor »Überlebender« zu einer Bezeichnung für jemanden wurde, der vorübergehend arbeitslos ist.

Ein Mekons-Song geht von der Voraussetzung aus, daß der Sänger von allem, was mit Macht ausgestattet ist, unterdrückt wird und als logische Schlußfolgerung: daß der Welt so was völlig schnuppe ist. Selbstmitleid wird zu bitterem Selbsthaß. Wenn die Mekons auf der Bühne über die US-Unterstützung der Contras in Nicaragua fluchen, dann ist es ihnen ernst damit, natürlich, aber es ist gleichzeitig auch ein hoffnungsloser Witz, bei dem sie die Angeschmierten sind, und das wissen sie - das gehört wesentlich zu dem, was sie sagen wollen. Der Protest ist echt, aber sein Tonfall bringt weniger Empörung zum Ausdruck als Machtlosigkeit.

Ebenso kann sich ein schlechter Witz der Mekons, ja sogar ein billiges Wortspiel, in einen Moment der Leidenschaft und Entschlossenheit verwandeln. Es ist etwas unleugbar Aufwühlendes an »Hello Cruel World«, der qualvollen StampfNummer, die The Edge of the World einleitet- es liegt in den Trommeln, die klammheimlich den Beat aufbauen, im Akkordeon, das die Melodie aufnimmt und sich mit ihr davonmacht, in der wie ein einzelner Draht schwirrenden Gitarre, und darin, wie die Selbstparodie in der Stimme des Sängers verschwindet, wenn die von ihm erzählte Story Konturen annimmt. Der Song spielt während eines Kriegs oder eines Bombenangriffs oder einer Straßenschlacht; der Sänger muß über Leichen steigen, um zu der Frau zu gelangen, der er seinen Song vorsingen möchte. Die Welt ist grausam, weil sie bloß eine sinnlose Anhäufung mit Macht ausgestatteter Fakten ist - hier ein zerschmetterter Körper, dort der nächste von Fakten, die so übermächtig sind, daß dir als mögliche Reaktion nur Hinnehmen oder Leugnen bleibt: »Ignore these trembling hands/ Don't think of this as blood/ I know it is.« Die Vorstellung, es gebe ein Handeln, einen Willen und entsprechende Resultate, scheint sinnlos. »Hello, cruel world«, sagt der Mann mit gleichgültiger Stimme. »It's a cruel world«, trällert die Frau, mit der Vernunft auf ihrer Seite: Das war schon immer so. »Come on, cruel world«, sagt der Mann und dann, während die Musik allmählich leiser wird, kehrt er den Song unversehens um, öffnet ihn für die Kämpfe, Zweifel, Rückzüge und gelegentliche Freuden, die auf dem übrigen Album in Szene gesetzt werden - »show me, what you've got.«

Das Paradoxe an der Musik der Mekons besteht darin, daß das von ihnen vermittelte Gefühl leidvoller Unterdrückung

die Berichte aus der Einöde, die der Thatcherismus aus ihrem England gemacht hat, ihre Phantasien vom Reaganschen Holocaust, ihr Kultivieren der eigenen Machtlosigkeit, ihres Daseins als Isolierte, Verdammte, Besessene, Ausgestoßene, Gestrandete (sie hören sich so an, als müßten sie bloß einen Fuß in einen Raum setzen, um ihn zur einsamen Insel zu machen) nie solipsistisch ist. In jedem ihrer Songs wird ausdrücklich ein Zuhörer beschworen; j eder Song stellt einen Versuch dar, jemanden zu finden, mit dem man sich unterhalten kann. Diese Unterhaltung mag stockend sein, imaginär, hoffnungslos, sinnlos, ja, sie mag sogar verweigert werden; aber das macht sie nicht falsch. Mekons-Platten sind ein Versuch, das Falsche an der Alternative zwischen Hinnehmen und Leugnen zu verdeutlichen - und auf der Bühne formulieren sie das so: »Willst du Teil des Verbrechens oder Teil seiner Bestrafung sein ?« Ihre Platten sind auch ein Versuch, diesem Entweder-Oder zu entwischen: nicht als Objekt, sondern als Subjekt der Geschichte leben zu wollen, selbst wenn die Geschichte über einen hinweggegangen ist. Die Platten sind eine Demonstration des Wunsches, Geschichte zu machen, zu leben, als habe das, was man sagt oder tut, tatsächlich Folgen - und zwar bis zu »Garage d'Or«, das ich als »garage door«, »Garagentür«, interpretiere, als das, was man hinter sich verschließen muß, wenn man sich mit Kohlenmonoxid vergiften will: Dieser Song, der Monolog einer Frau, ist der Abschiedsbrief einer Selbstmörderin.

Vor über zehn Jahren, als ich über The Band schrieb, äußerte ich, daß viele junge Amerikaner die Jahre vor dem Erscheinen des Band-Albums Music from Big Pink (1968) damit verbracht hätten, sich beizubringen, wie man sich in seinem eigenen Land als Ausgestoßener fühlt, und daß die Musik der Band - die auf alte Stile zurückgriff, auf das, was überdauert hatte - wieder einen Weg in dieses Land weisen wollte. Die Mekons ähneln The Band in ihrer nahtlosen Verschmelzung von Rock'n'Roll, klassischer Country-Musik und traditioneller englischer Folk-Musik hier beschwört ein keltisches Fiedel-Stück neben Bob Dylans »A Hard Rain's A-Gonna Fall<( auch Wires »I Am the Fly« und Richard Thompsons »Withered and Died«... und entpuppt sich am Ende als Hank Williams »Alone And Forsaken«. Die Widmung von The Edge of the World gilt Richard Manuel von The Band, der in diesem Jahr Selbstmord begangen hat, und macht diese Verbindung deutlich: »Wir treffen dich dann am Ende der Straße«, heißt es auf dem Plattencover. Doch die Welt hat sich verändert. Music from Big Pink stiftete Gemeinschaft. Mag sein, daß die Mekons, als kleine, instabile Gruppe von Kollegen und Freunden, dadurch Gemeinschaft anstreben, daß sie das Gefühl, sich in seinem eigenen Land als Ausgestoßener zu fühlen, dramatisieren.

Als Zuhörer, als Fan, beziehe ich dieses Gefühl auf mich selbst. In seinem eigenen Land ist man nicht dann ein Ausgestoßener, wenn man die Sprache nicht beherrscht, sondern wenn man sich nicht dazu durchringen kann, diese Sprache zu sprechen. Letzten Monat habe ich im Rahmen dieser Kolumne den Versuch unternommen, mich mit einer Sprache auseinanderzusetzen, die ich nicht in den Mund nehmen konnte: die Sprache von Ameriva 2040, einem Science-Fiction-Taschenbuch, das von der Voraussetzung ausgeht, die nukleare Vernichtung unseres Planeten sei nicht weiter tragisch, solange ein Raumschiff mit Repräsentanten des »amerikanischen Geistes« rechtzeitig ins Weltall starten könne, und die Sprache von U.S.A. Combat Heroes, einem neuen Magazin, das die Kino-Heldentaten von Chuck Norris und Sylvester Stallone als wirkliche Geschichte glorifiziert. Ich argumentierte damals (und einen Monat später bin ich noch immer dieser Ansicht), dies sei die Sprache unserer Epoche: die Sprache der Unterdrückung durch j ene, die Macht haben, wobei völlig unerheblich ist, daß diese Sprache totgeboren ist, daß sie nicht über die Syntax eines T-Shirt-Slogans hinauskommen kann: »GEH INS MARINE-CORPS / BESUCH FREMDE LÄNDER / SCHAU DIR EXOTISCHE GEGENDEN AN / BEGEGNE NEUEN UND INTERESSANTEN MENSCHEN... UND BRING SIE UM.«

Erinnern Sie sich noch? 1968, in der Vietnam-Ära, erschien dieser Slogan auf Anti-Kriegs-Aufklebern: Das war Ironie, ein Versuch, das Gegenteil dessen zu erreichen, was der Slogan beschrieb. Durch den täglich wachsenden Widerstand gegen den Vietnamkrieg wurde die Ironie des Aufklebers autorisiert: Er sagte das, was er meinte - mit negativem Vorzeichen. Wenn dieser Slogan heute beim Bordell-Besuch auf der Brust von im Ausland stationierten Marines prangt, spricht er mit positivem Vorzeichen: er signalisiert Zustimmung. Nun autorisiert - und entlastet die Ironie die potentiellen Totschläger. Der Dumme dabei ist der Anti-Kriegs-Aktivist, der sich, vor vielen Jahren, diesen Slogan ausgedacht hat.

Der Kontext ist alles: Da die Welt eine andere geworden ist, konnte die Bedeutung eines alten Slogans auf den Kopf gestellt werden; und ein noch älterer Slogan erwacht zu neuem Leben. Folgendes T-Shirt-Motto erfreut sich bei Amerikanern, die mit den nicaraguanischen Contras zusammenarbeiten, großer Beliebtheit: »BRINGT ALLE UM UND ÜBERLASST GOTT DAS AUSSORTIEREN !« Der Ursprung dieses T-Shirts (für das man demnächst garantiert auf den letzten Seiten von U.S.A. Combat Heroes werben wird) ist interessant. Im Jahr 1209, zu Beginn des von Papst Innozenz III. befohlenen Vernichtungsfeldzugs gegen die Albigenser, einen Zweig der Katharer, der vor allem in Südfrankreich beheimatet war, fragte ein katholischer Heerführer, wie er denn die Rechtgläubigen von den Ketzern unterscheiden könne. »Töte sie allen lautete die Antwort">Gott kennt die Seinen.« Die neue Sprache mag als Sprache totgeboren sein; als Macht muß sie einfach nur töten, um am Leben zu bleiben.

Und da sind wir nun, fast ein Jahrtausend später, in Nicaragua, oder in einem Club in San Francisco, wo die Mekons auf der Bühne stehen, ihre Geigerin in einem Sandinisten-T-Shirt mit dem alten Slogan der spanischen Republikaner: »NO PASARAN« (»Sie [die Franco-Faschisten] werden nicht durchkommen«). Die Mekons machen sich selbst zu Witzfiguren; die einen sind zu dünn, andere zu dick; ihr Cowboy-Outfit ist grotesk. Für Richard Manuel spielen sie »The Shape I'm In«, einen alten Titel von The Band (»Save yourself, or save your brother / Looks like it's / One or the other«). Es sind etwa fünfzig Leute gekommen (und davon stand die Hälfte auf der Gästeliste); der Musikkritiker der hiesigen Tageszeitung schenkt sich das Konzert. Aber die Show steckt voller Leben; sie ist witzig; sie ist herzwärmend. Es gibt Momente der Angst, bei denen sich ein Abgrund auftut und die Musiker drauf und dran scheinen, sich kopfüber hinunterzustürzen, doch wenn sie »King Arthur« spielen (»His mind was filled with memories / Of friends long gone by /. . . Scattered all over from Newport to Leeds / People hiding, people like bees / Talking of unity, crippled by fate / Divided and lonely / Too weak and too late«), dann ist die Stimmung nicht so beängstigend wie auf The Edge of the World, da hier andere Menschen dabei sind. Die Stimmen sind so voll wie die Worte abgedroschen sind; beides erinnert an ein echtes Gespräch.

Vielleicht ist Siegen immer einfach und Verlieren immer komplex. Die Sprache von Fear and Whiskey und The Edge of the World ist so vieldeutig, wie die Sprache von U.S.A. Combat Heroes simpel ist. Die Mekons können alles sagen, doch nichts tun. Chuck Norris und Sylvester Stallone können nichts sagen, aber alles tun. Wie die Clash einmal gesungen haben, ist die Sprache von Norris und Stallone »die gängige Währungo; das Problem dabei ist, daß ich nichts von dem haben möchte, was man sich mit dieser Währung kaufen könnte. Die Mekons stoßen dich darauf, daß es noch etwas anderes gibt: In einer Welt, dominiert von einer Sprache, die zu sprechen man sich weigert, erinnern sie dich daran, daß es immer noch Menschen gibt, die man vielleicht kennenlernen möchte.

Artforum,

Oktober 1986


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